Staatskirche

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Einführung

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war der deutsche Kaiser Wilhelm II. als preußischer König „von Gottes Gnaden“ zugleich Oberhaupt der evangelischen Landeskirche. Die Potsdamer Garnisonkirche hatte als Immediatkirche sogar direkt seinem Patronat unterstanden. Beide verloren mit seiner Abdankung ihren obersten Kirchenherrn. Der preußische Staat aber blieb Eigentümer der Garnisonkirche, die im politisch konservativ geprägten Potsdam von der Zivil- sowie der Militärgemeinde genutzt wurde.

Zeitung „Vorwärts“ vom 9.11.1918: „Der Kaiser hat abgedankt“

Die Novemberrevolution 1918 führte zur Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und dem Ende des Ersten Weltkriegs. Bereits im Oktober 1918 hatte der Monarch seinen Wohnsitz im Neuen Palais verlassen und sich ins Ausland abgesetzt. Damit machte er den Weg frei für die Ausrufung der ersten parlamentarisch-demokratischen Republik auf deutschem Boden. Mit der Monarchie endete zugleich das landeskirchliche Regiment des Kaisers über die evangelische Kirche in Preußen, das so genannte Summepiskopat. Zugleich verlor Potsdam seine Funktion als preußische Residenzstadt, da die Kaiserfamilie seit Ende 1918 in Doorn (Niederlande) im Exil lebte.

Anstehen bei der Wahl zur Nationalversammlung in Berlin

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung durften erstmals im Deutschen Reich auch Frauen ihre Stimme abgeben. Die Ergebnisse in Potsdam verdeutlichen die eher bürgerlich-konservative Prägung der ehemaligen Residenzstadt. Hier errang die konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) die meisten Stimmen. Gemeinsam mit der national-liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) konnte sie sich fast zwei Drittel aller Wähler sichern, während die Sozialdemokraten (SPD und USPD) nur ein Drittel der Stimmen auf sich vereinen konnten. Auf Reichsebene war die SPD klarer Gewinner der Wahl gewesen, während die DNVP nur zehn Prozent der Stimmen holte. Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung 1919 erhielt die gemeinsame Liste von DNVP, DVP und katholischer Zentrumspartei sogar fast 2/3 aller Stimmen. Bis Ende der 1920er Jahre dominierte die rechtskonservative DNVP das Stadtparlament und stellte den Oberbürgermeister. Die politische Machtverteilung zeigt, dass viele  Bürger Potsdams der Republik skeptisch gegenüberstanden.

Die Fraktion der Mehrheitssozialisten der Nationalversammlung

Die von der Nationalversammlung verabschiedete Weimarer Verfassung verankerte die vor allem von der SPD geforderte Trennung von Kirche und Staat. Sie garantierte die freie Religionsausübung und ermöglichte die Veranstaltung von Gottesdiensten ohne staatliche Genehmigung. Ferner beseitigte sie die staatliche Kirchenhoheit und gestattete den evangelischen Kirchen erstmals weitgehende Selbstverwaltung. Die altpreußische Landeskirche gab sich 1922 eine neue Kirchenordnung und den Namen „Evangelische Kirche der altpreußischen Union“. Die evangelischen Landeskirchen gründeten im gleichen Jahr den Deutschen Evangelischen Kirchenbund unter Beibehaltung der organisatorischen und bekenntnismäßigen Unabhängigkeit der einzelnen Landeskirchen.

Bestellung des Hilfspredigers Reinhold Kleinau durch Kaiser Wilhelm II.

Bis 1918 unterstand die Potsdamer Garnisonkirche mit ihren beiden Gemeinden, der Militärgemeinde und der Zivilgemeinde, als so genannte Immediatkirche direkt dem Patronat des preußischen Königs. Dieser übernahm auf Vorschlag des Evangelischen Oberkirchenrats die Ernennung von Predigern persönlich, wie die von Reinhold Kleinau, der 1918/19 die Hilfspredigerstelle der Zivilgemeinde innehatte. Kleinau war später viele Jahre Vorsteher des Oberlinhauses in Nowawes/Babelsberg.

Das Gebäude des Regierungspräsidenten in Potsdam

Nach dem Ende der Monarchie blieb der Freistaat Preußen Eigentümer des Kirchengebäudes und der dazugehörigen Pfarrwohnhäuser. Ihn vertrat der im heutigen Rathaus residierende Regierungspräsident des Regierungsbezirks Potsdam. Dennoch konnte der Regierungspräsident nicht allein über das Gebäude entscheiden, denn die Zivilgemeinde war mit weitreichenden Nutzungsrechten ausgestattet.

Zeitungsartikel: Zivil und Militär in einer Gemeinde

Nutzer der Garnisonkirche waren die Zivil- und die Militärgemeinde, wobei die Zivilgemeinde die Schlüsselgewalt ausübte. Die im Vergleich zu den anderen Potsdamer Kirchengemeinden recht kleine Zivilgemeinde wuchs zwischen 1918 und 1932 von etwa 1.800 auf circa 2.300 Personen. Ursprünglich setzte sie sich aus den Mitgliedern des Hofstaats und Einwohnern in der näheren Umgebung der Kirche zusammen. In den 1920er Jahren besuchten auch viele ehemalige hochrangige und in Potsdam wohnende Militärangehörige die Gottesdienste. Die Zivilgemeinde gehörte nicht zum Potsdamer Pfarrbezirk (Parochialverband). Sie unterstand mit ihrem Gemeindekirchenrat als Leitungsgremium direkt dem Oberkirchenrat in Berlin.

Liste der Offiziere und Mannschaften des Stab I des Infanterie-Regiment Nr. 9, die mit ihren Angehörigen zur Militärgemeinde gehörten

Die in Potsdam stationierten Angehörigen evangelischen Glaubens der verschiedenen Regimenter und ihrer Familien bildeten automatisch die Militärgemeinde. In den 1920er Jahren gehörten zu ihr zwischen 3.000 und 3.600 Personen. Die Militärgeistlichen betreuten die Militärangehörigen in allen kirchlichen Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen, aber auch in der Seelsorge. In den 1920er bis Anfang der 1930er Jahre fanden im Durchschnitt jährlich etwa 50 Taufen und fast 100 Trauungen statt. Die nach Potsdam versetzten Militärangehörigen wurden automatisch der Militärgemeinde der Garnisonkirche angegliedert und in solchen Listen erfasst. Der Stab I hatte seine Kaserne in der Priesterstraße 2-8 direkt neben der Garnisonkirche. An zweiter Stelle ist der spätere Widerstandskämpfer Henning von Tresckow zu finden.

Rundschreiben des Reichswehrministers anlässlich der 20-jährigen Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs

Die Militärpfarrer waren geistlich dem Oberkirchenrat unterstellt, strukturell aber in die Militärverwaltung eingegliedert. Als Angestellte des Staates erhielten sie ihr Gehalt vom Reichswehrministerium. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die moralische Zurüstung der Truppe, die mehrheitlich die Weimarer Demokratie ablehnte. In der Potsdamer Garnison kursierte ein preußisch-monarchischer und nationalistischer Geist. Dieses Rundschreiben des Reichswehrministers anlässlich der 20-jährigen Wiederkehr des Kriegsbeginns 1914 zeigt eindrücklich die national und evangelisch ausgerichtete preußische Militärpfarrertradition, die im Kern dem Motto aus 1. Joh. 3,16 folgte: Gib dein Leben für dein Volk, wie Jesus sein Leben für die Seinen gegeben hat. Auch die Auslegung des Bibelwortes wurde den katholischen wie evangelischen Geistlichen ausdrücklich vorgegeben.

Auflösung der Unteroffiziersschule in Potsdam

Der Versailler Vertrag beschränkte die Friedensstärke der Reichswehr auf 100.000 Mann. Eine Wehrpflicht gab es nicht, die Reichswehr war eine Berufsarmee. Die in Potsdam stationierten Truppenteile schrumpften um mehr als ein Drittel ihres ursprünglichen Bestandes. Auch die Unteroffiziersschule in der Jägerallee (heute: Justizzentrum) wurde 1920 aufgelöst. Parallel dazu waren zahlreiche Militärgeistliche überzählig geworden. Der Reichswehrminister war bestrebt, diese auf Zivilstellen zu versetzen. Zu ihnen gehörte unter anderem der Divisionspfarrer Johannes Grunwaldt, der 1920 die Zivilpfarrstelle an der Garnisonkirche übernahm. Militärpfarrer war bis 1920 Johannes Vogel. Er wirkte danach als Pfarrer an der Potsdamer Friedenskirche. Seine Militärpfarrstelle blieb bis 1925 unbesetzt.

Collage: Veränderung der Siegel der Garnisonkirche

Viele Entscheidungen das Kirchengebäude betreffend wurden mühsam ausgehandelt. Die Umbenennung des Kirchennamens verdeutlicht die komplexe Situation. Nach dem Ende der Monarchie wurde der Wortteil „Königl.“ aus dem offiziellen  Kirchennamen „Königliche Hof- und Garnisonkirche“ meist stillschweigend weggelassen. Erst nach Aufforderung der Preußischen Regierung erklärte sich die Zivilgemeinde im Juni 1928 einverstanden, im Kirchensiegel den Namensteil „Königliche Hof- und“ zu streichen, wobei das Kirchensymbol - der zur Sonne auffliegende Adler - erhalten bleiben sollte. Der Gemeindekirchenrat stellte zugleich klar, dass die Änderung des Siegels erst nach Umbenennung des Kirchennamens vollzogen werden könne. Diese erfolgte durch die Regierung Ende Juni 1928. Erst im Frühjahr 1929 erteilte schließlich der Evangelische Oberkirchenrat die „kirchenaufsichtliche Genehmigung“, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass „das Recht zur Bestimmung des Namens einer Kirche“ Bestandteil des Nutzungsrechts sei und er daher die letzte Entscheidungsinstanz sei. Die Kirchengemeinde hieß erst jetzt offiziell „Zivilgemeinde der Garnisonkirche“.

Arbeiten am Turm der Garnisonkirche, im Hintergrund St. Nikolai

Während in Weimar die Nationalversammlung tagte, begutachten Sachverständige der preußischen Regierung im Februar 1919 den baulichen Zustand des Turms der Garnisonkirche als dringend sanierungsbedürftig. Dessen Erhaltung sei nicht nur im „Hinblick auf den künstlerischen Wert und die Bedeutung im Stadtbild“ notwendig, sondern könne „in Rücksicht auf die hohe geschichtliche Bedeutung dieser Schöpfung Friedrich Wilhelms I. und der Ruhestätte Friedrich des Großen als heilige nationale Pflicht bezeichnet werden.“ Die umfangreichen Reparaturarbeiten dauerten von 1925 bis 1930. Die Gesamtkosten in Höhe von fast 800.000 Reichsmark bezahlte der Preußische Staat als Eigentümer. Er sicherte damit den Erhalt der einzigartigen Barockkirche unter anderem als zentralen Erinnerungsort für den preußischen Militarismus.